Sonntag, 17 Januar, 2021
Mit Hypnose Ursachen finden?
„Mit Hypnose die Ursachen von Symptomen finden!“ – „Die Auslöser von Problemen mit Hypnose aufdecken!“. Solche oder ähnliche Werbeaussagen lese ich auf einer Vielzahl von Internetseiten von Hypnosetherapeuten, die sich auf sogenannte „analytische Hypnosetherapie“ bzw. „Ursachenhypnose“ spezialisiert haben. Die Vorstellung dabei
ist folgende: Mittels Hypnose gelänge es, in „tiefere“ Bewusstseinsschichten vorzudringen. Dort lägen die „wahren Ursachen“ für eine Erkrankung oder für Probleme „verborgen“. Die Quelle dieser befände sich meist in der Kindheit oder wahlweise in „früheren Leben“. Der Hypnosetherapeut bräuchte dieser Logik zufolge den Auslöser mithilfe von Hypnose nur zu finden, mit dem Klienten zu bearbeiten und damit die „Blockade lösen“.
Würde das nicht geschehen, käme es zu einer „Symptomverschiebung“, d.h. die Probleme würden an anderer Stelle wieder auftauchen. Diese „aufdeckende Hypnosetherapie“ oder „ursachenorientierte Hypnose“ wäre der „direkte“ und damit wohl erfolgversprechende Weg. Aufdeckende Hypnose könne aber nur dann erfolgreich sein, wenn der Patient bereit sei, sich mit den „belastenden Situationen der Vergangenheit auseinanderzusetzen“ und mit dem Hypnosetherapeuten zusammenzuarbeiten.
Die Idee der analytischen Hypnosetherapie
Die Idee, dass psychische Konflikte ihre Ursache in der Kindheit haben, kommt aus den Anfängen der Psychoanalyse. Sigmund Freud hatte die Vorstellung eines Unbewussten, in der man einem Archäologen gleich nur zu Graben brauchte, um in den „tieferen Schichten der Seele“ den Auslöser eines Problems finden und bewusst machen müsste. Dieser nicht mehr ganz zeitgemäßen Annahme folgen analytische Hypnosetherapeuten.
Zugegeben: Für einen Patienten, der nach Hilfe bei der Bewältigung seiner Konflikte sucht, kann es verführerisch sein, einem solchen Erfolgsversprechen zu vertrauen. Schließlich klingt es der Alltagslogik nach plausibel: Kenne ich die Ursache, dann kann ich diese auch gezielt beheben. Scheinbar ganz einfach, wunderbar!
Einfach auch für den Therapeuten: Gelingt es nicht, die Symptome zu beseitigen, war der Klient nicht kooperativ d.h. nicht bereit, an seinen Problemen zu arbeiten. Entlastend für den Patienten, denn auch er ist quasi unschuldig für das, was ihm widerfahren ist. Andererseits auch praktisch: Denn er kann sich auf diese Weise aus der Eigenverantwortung stehlen, denn Schuld an seinen Problemen ist ja seine verkorkste Kindheit.
Welchen Einfluss hat die Kindheit auf die Psyche?
Nun will ich nicht in Abrede stellen, dass Kindheitsereignisse und Erziehung prägenden Einfluss auf das Individuum haben. Es gibt traumatische Ereignisse, die Spuren hinterlassen. Aus der Bindungsforschung wissen wir, wie wichtig eine sichere Mutter-Kind-Beziehung für die gesunde Entwicklung eines Kindes ist.
Grenzen des kausalen Ursache-Wirkungs-Denken
Trotzdem ist ein einfaches Ursache-Wirkungs-Denken, wie es von manchen Anhängern der ursachenorientierten Hypnose propagiert wird, wenig geeignet, um die komplexen Zusammenhänge zwischen Körper, innerpsychischen Prozessen („Psyche“, „Geist“, „Denken“) und sozialem Umfeld zu verstehen. Ebenso ungeeignet ist diese kausale Theorie zur schlüssigen Erklärung der Entwicklung und vor allem Aufrechterhaltung von Symptomen und psychischen Konflikten. Zum Beispiel stellt sich die Frage, warum ein bestimmter Mensch „aufgrund“ eines bestimmten Erlebnisses Symptome entwickelt, während ein anderer, der mit den gleichen Umständen konfrontiert war, unauffällig bleibt und keiner Behandlung bedarf. Der eine mag „aufgrund“ seiner Kindheitserlebnisse im Leben scheitern. Ein anderer wird vielleicht gerade deshalb erfolgreich.
Systemtheorie und ganzheitliche Psychotherapie
Die moderne Systemtheorie nimmt an, dass es komplexe Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Systemen gibt. Als zusammenhängende Systeme lassen sich z.B. der biologische Organismus (Körper), psychische Prozessen (=Denken, Psyche) und soziales Umfeld definieren. Probleme und Konflikte haben in diesem Modell vielfältige Ursachen, die sich gegenseitig bedingen. Dabei kann es sein, dass die Ursachen, die ein Problem „ins Rollen“ gebracht haben, gar nicht mehr existieren. Bildlich gesprochen: Der Stein, der die Wellen ausgelöst und die See zum Tosen gebracht hat, liegt womöglich schon lange auf dem Grund. Da macht es dann auch keinen Sinn, diesen zu bergen. Vielmehr gilt es zu verstehen, wie es dazu kommt, dass die Fluten immer noch toben, weil sich die Wellen überlagern und auf diese Weise gegenseitig bedingen und einander verstärken. Diesen komplexen sich selbst erhaltenden (autopoetischen) Prozess muss ein Psychotherapeut durch geeignete Maßnahmen stören, damit es zu Veränderung kommt. Solch eine Maßnahme kann mitunter sein, dem Klienten zu ermöglichen, vergangene Erlebnisse aus einer anderen Perspektive zu betrachten und auf diese Weise eine Veränderung im gegenwärtigen Denken und Handeln nehmen, wie es die analytische Hypnosetherapie macht. Als ganzheitlich orientierter Psychotherapeut ist mir die Theorie der aufdeckenden Hypnose jedoch zu beschränkt und ihre Methode nur eine von vielen denkbaren. Sie ist zu einseitig und in bestimmten Fällen eben deshalb auch nicht erfolgreich. Und um noch ein Bild zu gebrauchen: Aspirin hilft bei Kopfschmerzen, obwohl die Ursache für das Schädelweh sicher nicht auf einen Mangel an dem Wirkstoff Acetylsalicylsäure zurückzuführen ist.
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