Dienstag, 22 März, 2022
Positives Denken
„Sorge Dich nicht, lebe!“ – „Du schaffst es, Du musst nur dran glauben!“ – „Denk doch mal positiv“ – Solche und ähnliche Ratschläge hat bestimmt jeder schon einmal gehört. Durch „Positives Denken“, so die Vorstellung vieler selbsternannter Erfolgstrainer und Mentalcoaches, könne man Ängste überwinden, erfolgreicher im Beruf werden und ein
zufriedeneres oder gar glücklicheres Leben führen. Mit Slogans wie „Mache 2022 zu Deinem Jahr! Die Transformations-Challenge wartet auf Dich!“, „Wohlstand ohne Stress“ und Versprechen wie „forever young“ werben Persönlichkeitstrainer und Life-Coaches für Coaching, Seminare und Erfolgsprogramme. Nebenbei klingelt die Kasse der Motivationstrainer noch kräftig durch den Verkauf von Superfood, Nahrungsergänzungsmitteln, Ratgeber-Literatur, Sprachkursen und Kaffetassen.
Gesetz der Anziehung
Dem „Gesetz der Anziehung“ bzw. „Gesetz der Resonanz“ zufolge, wie es in esoterischer Literatur (z.B. „The Secret“) propagiert wird, zieht jeder Gedanke oder jedes Gefühl, das wir fühlen, ähnliche oder gleichartige Gedanken und Gefühle an. Laut dem Resonanzgesetz müsse man nur eine „Bestellungen beim Universum“ aufgeben, und schon werden Herzenswünsche in Erfüllung gehen. Das „Gesetz der Anziehung“ sei nur eines der „sieben universellen Lebensgesetze“. Das „Gesetz von Ursache und Wirkung“ besage zum Beispiel, dass alles eine Ursache habe, auf die eine Wirkung folge. „Wir senden etwas aus (Ursache) und bekommen was zurück (Wirkung)“, heißt es da.
Affirmationen
Auf einer Internetseite zum Thema „Affirmationen“ wird behauptet, durch die Kraft dieser positiv formulierten Sätze „können Blockaden, negative Glaubenssätze oder festgefahrene Ansichten aufgelöst oder transformiert werden.“ Der esoterischen Lebensberaterin zufolge sei eine gute Affirmation z.B. „Ich werde immer und überall mit dem versorgt, was ich mir von Herzen wünsche“. Doch was ist dran an Mentaltechniken wie positivem Denken, Autosuggestion, Bestellungen beim Universum und dergleichen?
Émile Coué und das positive Denken
Ich war Anfang zwanzig, war gerade von zuhause ausgezogen und interessierte mich für Psychologie. Angefixt durch den Buch-Klassiker „Die Kraft der Selbstbeeinflussung durch positives Denken. Ein Weg zur Selbstheilung“ von Émile Coué, versuchte ich der Einsamkeit und anderen mir unangenehmen Gefühlen durch Autosuggestion ein Schnippchen zu schlagen. „Es geht mir mit jedem Tag in jeder Hinsicht immer besser und besser!“ Täglich murmelte ich Coués berühmte Formel im Bett vor dem Einschlafen wie ein Gebet. Doch irgendwann musste ich mir eingestehen, dass ich nicht den Eindruck hatte, dass sich dadurch etwas an meinen Gefühlen oder meinem Leben änderte. Ganz im Gegenteil. Denn ich schämte mich, dass es mir trotz Anstrengung und Willen nicht gelang, durch Selbstbeeinflussung meine negativ bewerteten Gefühle und mein Leben zu verändern. „Selber Schuld, wahrscheinlich habe ich einfach nicht richtig dran geglaubt oder etwas falsch gemacht?“
Der Mensch als Beziehungswesen
Heute, fast 30 Jahre später, habe ich verstanden, dass es für Veränderungsprozesse mehr braucht als einfache Mentaltechniken. Wir Menschen sind von Natur aus soziale Wesen. Vom Beginn unseres Lebens sind wir auf andere bezogen. Wir brauchen im Entwicklungsprozess die Kommunikation mit der Umgebung. Wir sind auf die gefühlsmäßige Resonanz anderer angewiesen. Wir wollen emotional verstanden und wertgeschätzt werden. Wir sind abhängig davon, dass unsere Bedürfnisse von anderen als berechtigt anerkannt werden. Wir entwickeln unser „Selbst“ erst im sozialen Austausch. Ohne „Störung“ von Außen ist es nicht möglich, unser Inneres zu verändern.
Paradox der Veränderung
Dazu kommt noch ein Umstand, den der Gestalttherapeut Arnold Beisser als „Paradox der Veränderung“ beschrieben hat. Dieses besagt, dass Veränderung geschieht, wenn jemand wird, was er ist und nicht, wenn er versucht, zu werden, was er nicht ist. Konkret heißt das: Vor einer Veränderung ist es oft erst einmal nötig, mich mit allen Aspekten meines Daseins zu akzeptieren, mit all meinen Gefühlen und Konflikten. Dies setzt jedoch aus den eben genannten Gründen ein wohlwollendes Gegenüber voraus, das den Wunsch nach Veränderung genauso akzeptiert wie die Angst vor und den Widerstand gegen diese Veränderung.
Positives Denken
Doch abgesehen davon gibt es noch andere Einwände gegen Mentaltechniken wie das „Positive Denken“ und „Bestellungen beim Universum“. Die Prinzipien, auf denen diese Selbstbeeinflussungen aufbauen wie das „Gesetz der Anziehung“, das „Gesetz von Ursache und Wirkung“ und andere „universellen Lebensgesetze“ erweisen sich bei genauerer Betrachtung als nicht zutreffend. Denn sie unterschätzen die Wechselwirkung zwischen individueller Psyche und sozialer Umgebung. Sie verkennen die Tatsache, dass eine Wirkung meist sehr viele verschiedene zusammenwirkende Ursachen hat, deren Einflussgrößen unmöglich vorausseh- oder berechenbar sind. Denn wir können unmöglich alle Faktoren kennen, von denen ein Ereignis abhängt. Menschen, die dem Positiven Denken anhängen, unterliegen nicht selten einem Machbarkeits-Wahn und einem Omnipotenz-Denken, an dem sie als Mensch nur scheitern können. Psychologen fanden sogar heraus, dass sich bei Menschen mit gering ausgeprägtem Selbstbewusstsein alleine durch das Aufsagen von Affirmationen ihre Stimmung, ihren Optimismus und ihre Bereitschaft, an Aktivitäten teilzunehmen, deutlich verschlechterten.
Hypnose
Ganzheitliche Psychotherapie, wie ich sie verstehe, trägt all diesen Einwänden gegen das Anwenden einfacher Mentaltechniken wie plumpe (Auto-) Suggestionen Rechnung. Sie stützt sich auf die Erkenntnisse der modernen systemischen Theorie und stellt die Haltung zum Menschen vor den mechanischen Einsatz von manipulativen Techniken. Dies gilt auch beim Einsatz von Methoden aus der Hypnosetherapie. Denn moderne Hypnosetherapie ist mehr als das Formulieren von einfachen allgemeinen und unpersönlichen Suggestionen. Natürlich ist es meist nötig, sich festgefahrener Kommunikationsmuster bewusst zu werden, einschränkende verinnerlichte Konzepte zu überprüfen, spontane Werturteile zu hinterfragen, sich mit existenziellen Fragestellungen auseinander zu setzen und mit neuen Verhaltensweisen zu experimentieren, um zu wünschenswerten Veränderungen zu gelangen. Dies kann ist jedoch häufig erst dann möglich, wenn wir uns unseren gegenwärtigen Gefühlen und Bedürfnissen verstehend, akzeptierend und mitfühlend zuwenden.
Zum weiterlesen:
Gestalttherapie und das Paradox der Veränderung
Schwarze Psychosomatik
Positives Denken macht krank. Vom Schwindel mit gefährlichen Erfolgsversprechen
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